Unsere moderne Gesellschaft stellt uns vor große Herausforderungen. Nach aktuellen Studien wird das Wissen der Welt alle 12 Stunden verdoppelt.1 Die Geschwindigkeit der Welt nimmt rasant zu.2 Jeder von uns wird täglich mit Millionen Sinneseindrücken und mehr als 10.00 Werbebotschaften konfrontiert.3 4 Die Nachrichten und Medienvielfalt überfordert einen Großteil unserer Gesellschaft.5 6 Unser Leben wird aufgrund der Vielzahl an Themen rapide komplexer.7
Wir alle sind auf persönlicher Ebene von Klimawandel, Mobilität, Digitalisierung und der Zukunft der Arbeit betroffen. Wir müssen diesen Herausforderungen mit individuellen Lösungen begegnen. Unser schulisches Basiswissen ist heutzutage immer weniger wert. Daher müssen wir uns kontinuierlich anpassen, um mit dem gesellschaftlichen Wandel mitzuhalten und nicht zurückgelassen zu werden.
Ein Blick auf die aktuelle Ratgeberlandschaft zeigt den Wunsch nach Orientierung. Lebensführung, Psychologie & Hilfe, Partnerschaft & Beziehungen und Kommunikation zählen zu den am stärksten nachgefragten Themen auf Amazon. Die Entwicklung von Meditation und Yoga zu Megatrends verdeutlichen die Sehnsucht nach Halt. Achtsamkeit verspricht Sinn und Bestimmung.
Wie finden wir uns einer komplexen Welt zurecht?
Um unser Seelenheil möglichst schnell zu finden, suchen wir nach einfachen Lösungen und geraten in die Optimierungsfalle.8 Wir haben verlernt einfach mal nichts zu tun, den Moment zu genießen und in uns zu horchen.
Mir geht es nicht anders. Ich bin ein Getriebener auf der Suche nach Rast. Ich habe eine 40 – 50 Stundenwoche, erhalte hunderte geschäftliche wie private E-Mails in der Woche, bin rund um die Uhr per Microsoft Teams, WhatsApp, Facebook, Instagram, Twitter, LinkedIn, XING sowie Mobiltelefon erreichbar und habe eine übervolle To-do-Liste. Trotz dieser Komplexität glaube ich, dass ich recht gut durchs Leben manövriere.
Vielfach steht die Sinnhaftigkeit des Seins bei der Lebensbewältigung im Vordergrund. Mir geht es nicht anders. Statistisch habe ich mehr als die Hälfte meiner Lebenszeit hinter mir und frage nach dem Zweck, dem mein Leben dienen soll.9 Diese Sinnfrage ist sehr zweckgerichteten und hilft nur in Teilen bei der Bewältigung des Lebens. Selbst, wenn ich das Ziel meiner Reise kenne, muss ich die eigentliche Reise meistern. Der Weg ist somit das Ziel.
Gibt es einen Kompass, der mich durch das Leben leitet? Was ist das Rüstzeug, welches meine Lebensreise vereinfacht?
Es gibt unterschiedliche Modelle und Philosophien, die helfen, Halt im Leben versprechen.
1. Modell der Lebensbalance
Der iranisch-deutsche Neurologe Nossrat Peseschkian hat das Modell der Lebensbalance entwickelt, bei dem vier Bereiche dem Leben Stabilität bieten:

- Beruf und Finanzen
- Familie und Bekannte
- Gesundheit und Fitness
- Sinn und Kultur
Wenn sich diese vier Säulen im Gleichgewicht befinden, empfinden wir laut Peseschkian weniger Stress und sind mit unserem Leben zufriedener.
2. Das japanische Ikigai
Das japanische Konzept, einen Sinn im Leben zu finden, heißt „Ikigai„. Frei übersetzt bedeutet diese Lebensphilosophie „das, wofür es sich zu leben lohnt“ und verspricht Glück und Zufriedenheit. Die Philosophie des Ikigai soll Menschen dabei helfen, die unvermeidlichen Herausforderungen des Lebens zu meistern und hoffnungsvoll und motiviert in die Zukunft zu blicken.

Folgende Aspekte werden bei der japanischen Lebensphilosophie berücksichtigt:
- Etwas, das du liebst, das du gerne tust
- Etwas, das die Welt von dir braucht
- Etwas, womit du Geld verdienen kannst
- Etwas, worin du gut und talentiert bist
Die Schnittmenge aller Aspekte bildet das persönliche IKIGAI, welches auf vier Grundbedürfnissen besteht:
- Die persönliche Mission
- Die eigene Berufung
- Der ideale Beruf
- Die große Leidenschaft
Wenn diese Grundbedürfnisse im Einklang stehen, ist das Ikigai ein Kompass, der dem Einzelnen hilft, seine Berufung zu finden und ihr ohne Angst nachzugehen.
3. Die fünf Kugeln des Lebens

„Stell dir vor, dass das Leben ein Spiel ist, indem du fünf Kugeln jonglierst. Diese Kugeln heißen Arbeit, Familie, Gesundheit, Freunde und Rechtschaffenheit. Und du hältst sie alle in der Hand. Aber eines Tages begreifst du, dass die Arbeit ein Gummiball ist. Wenn du ihn fallen lässt, springt er wieder hoch. Die anderen vier Kugeln – Familie, Gesundheit, Freunde und Geist – sind aus Glas. Wenn du eine von diesen Kugeln fallen lässt, wird sie unwiderruflich beschädigt, zerspringt vielleicht sogar in tausend Stücke. Und selbst wenn sie nicht zerspringt – sie wird nie mehr so sein wie früher. Wenn du die Lektion der fünf Kugeln erst einmal verstanden hast, hast du den Anfang für ein ausgeglichenes Leben gemacht.„
Coca Cola Enterprises Inc.’s former CEO Bryan Dyson
Was lernen wir aus den drei Modellen?
Bei allen Modellen steht die Balance der unterschiedlichen Lebensbereiche im Fokus. Nur, wenn diese gleichberechtigt sind, kann ein ausgeglichenes Leben geführt werden.
Was gibt mir Halt im Leben?
Was sind meine Lebensregeln?
Auch wenn ich nicht so wirke, bin ich ein sehr nachdenklicher, verkopfter Menschen. In der Öffentlichkeit bin ich kontaktfreudig, aufgeschlossen und nach Außen gerichtet. Ich benötige jedoch viel Freiraum zur Kontemplation und mache ich mir oft Gedanken, über meine Leben und frage mich, was mir Halt gibt.
Vielen Menschen finden Sicherheit und Stabilität in ihrer Familie, bei Freunden und im Glauben. Das ist bei mir anders. Die Beziehung zu meiner Familie ist kompliziert, es fällt mir schwer Freundschaften zu pflegen und aus der Kirche bin ich 2012 ausgetreten. Doch was gibt mir Halt im Leben? An welchen Leitplanken richte ich mein Handeln aus? Welche Lebensregeln geben mir Orientierung?
Meine Lebensmaxime, Prinzipien und/oder Grundsätze
1. Stress ist das, was man sich selbst mach
Was ist Stress?

Stress ist ein evolutionäres Signal an den Körper. Bei drohender Gefahr schüttet der Mensch Stresshormone aus und versetzt wichtige Körperfunktionen in Alarmbereitschaft. Der Blutdruck steigt, die Muskeln spannen sich an und die Atmung wird schneller. Diese lebenswichtigen Stressreaktionen ermöglichen uns eine schnelle Flucht vor Gefahren. Heutzutage sind Stresssituation jedoch in den seltensten Fällen lebensbedrohlich. Stress ist ein Gedankenkonstrukt, welches eine vermeintliche Gefahr in unseren Kopf projiziert.
Folgende Geschichte verdeutlicht sehr anschaulich, dass man selbst entscheiden kann, ob äußere Reize als Stressoren wahrgenommen werden.
In einem Interview 10 wurde Jürgen Klopp gefragt, wie man vor einem Champions-League-Finale schlafe. Seine Antwort sagt viel über die Wahrnehmung von Stress aus: „[…] Vor dem Spiel gibt es eine relativ lange Zeit, in der Du allein auf dem Zimmer bist. Das sind so dreieinhalb Stunden. Vor diesen dreieinhalb Stunden habe ich schon ein bisschen Respekt gehabt. Da habe ich mir gedacht, so allein mit mir und meinen wirren Gedanken, das wird nicht so cool. Ich bin aufs Zimmer gegangen und habe zwei Stunden Mittagsschlaf gemacht. Ich bin wach geworden, war immer noch gut drauf und habe nicht schlecht geträumt. […] Der Fußball hat mich nie Schlaf gekostet. Das ist ein Spiel. Das habe ich immer so gesehen. Nachts kann ich daran auch nichts ändern. Auch nicht an den Ergebnissen. Ich kann da Abschalten. Das ist das alles Entscheidende. Deshalb kann ich den Job auch so lange machen. Wenn man das nicht kann, dann ist der Tag zu kurz, um die ganzen Eindrücke zu verarbeiten. […]“.
Die Erkenntnis, dass Stress ein reines Gedankenkonstrukt ist, hat meinen Umgang mit Stress nachhaltig verändert. Zuvor habe ich in vielen Situationen psychische Belastung empfunden und fühlte mich unter Druck gesetzt. Hierbei habe ich nicht erkannt, dass dieser Stress nicht von externen Stressoren, sondern allein durch meine Gedanken ausgelöst wurde.
Was hilft mir bei Stress?
Das Mantra, „Stress macht man sich nur selbst“, hilft mir bei vermeintlich stressigen Situationen Ruhe zu bewahren und typische Stressreaktionen zu vermeiden. Drüber hinaus nutze ich folgende Verhaltensweisen zur Stressbewältigung:
- Achtsamkeit: Stress bewusst wahrnehmen und akzeptieren
- Einer strukturierten Tagesplanung folgen
- Pausen machen (zum Beispiel durch die Pomodoro-Technik)
- Bewegung in den Alltag einbinden
- Bewusst atmen (zum Beispiel mit der Wim-Hof-Methode)
- Meditation (ich nutze die Headspace App)
- Schlafhygiene
2. Leben im Hier und Jetzt

Wir neigen dazu uns viele Gedanken über die Vergangenheit zu machen, da uns diese innerlich keine Ruhe lässt. Ähnlich ergeht es uns mit der Zukunft. Wir malen uns aus, wie diese vermeintlich aussehen könnte. In beiden Fällen handelt es sich um Gedankenkonstrukte, welche unsere geistige Kapazität bindet und einer proaktiv Gestalten unseres Lebens im Weg steht.
Anstatt sich mit gedanklichen Illusionen zu beschäftigen, müssen wir uns auf das Hier und Jetzt besinnen. Nur in der Gegenwart können wir unsere vergangenen Erfahrungen nutzen, um unsere Zukunft aktiv zu gestalten. Diese Erkenntnis klingt im ersten Moment sehr esoterisch. Im Kern enthält sie jedoch viel Wahres. Wir sind die Summe unserer Erfahrungen. Es wäre töricht, wenn wir diese nicht zur Verbesserung unseres Lebens nutzen.
Wie ich versuche im Moment zu leben?
Wie bei Achtsamkeitsübungen versuche ich persönlich die Gedanken über die Vergangenheit und die Zukunft nicht auszublenden, sondern zu akzeptieren. Ich gebe ihnen Raum und lasse sie los, damit sie mir geistigen Freiraum geben. Ich versuche meine eigene Vergangenheit zu akzeptieren und diese als Basis für die Justierung meiner Zukunft zu nutzen.
3. Worst-Case- vs. Best-Case-Szenario

Im Leben werden wir mit großen Herausforderungen konfrontiert, bei denen sich mentale Drohkulissen vor unserem inneren Auge aufbauen. Mit Herzklopfen malen wir uns aus, was alles passieren kann. Statt eine Herausforderung als Chance anzusehen, fürchten wir den schlimmsten Alptraum. Diese geistigen Szenarien verhindern, dass wir uns herausfordernden Situationen mit klarem Kopf stellen können.
Mir ging es lange nicht anders. Statt Möglichkeiten zu sehen, haben negative Emotionen meinen Geist vernebelt.
Wie stelle ich mich Herausforderungen?
Vor wichtigen Entscheidungen nutze ich die „Was wäre, wenn?“-Methode, um die unterschiedlichen Konsequenzen meines Handels auszuloten. Was ist die schlimmste Situation, die eintreten kann? Was kann im besten Fall passieren? Ich vergleiche die extremsen Ereignisse und schaffe so ein Worst-Case- und ein Best-Case-Szenario. Dieses Vorgehen gewährleistet, dass ich nicht mit unerwarteten Ereignissen konfrontiert werde.
Das Ausloten erwartbare Unter- und Obergrenzen bietet einen weiteren entscheidenden Vorteil. Ich kann bereits vor der Auseinandersetzung mit einer wichtigen Herausforderung konkrete Handlungsoptionen entwickeln, die für mich zum optimalen Resultat führen.
4. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere

Im Leben steckt voller Optionen. Es fällt uns jedoch schwer diesen Reichtum an Möglichkeiten zu erkennen und sehen nur die verpassten Chancen. Der britisch/amerikanische Erfinder der Telefonie Alexander Graham Bell beschreibt dieses Phänomen sehr treffend: „Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere; aber wir sehen meist so lange mit Bedauern auf die geschlossene Tür, dass wir die, die sich für uns geöffnet hat, nicht sehen.“
Wie gehe ich mit verpassten Chancen um?
Ich versuche eine vermeintlich verpasste Chance, als Anfang von etwas Neuem anzusehen. Dies gelingt mir nicht immer. Zu oft habe ich Vergangenem nachgeweint und habe viele Gedanken auf die Analyse, warum eine neue Möglichkeit nicht eingetreten ist, verschwendet. Eine kritische Reflexion ist wichtig, um zukünftige Opportunitäten zu erkennen und diese zu nutzen. Oft entziehen sich verpasste Chancen jedoch unserem Einfluss.
Ich versuche, eine verpasste Chance als Anfang von etwas Neuem zu begreifen. Frei nach Hermann Hesse: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. 11
Mein Resümee
Ich versuche, mein Leben auf Basis meiner eigenen Handlungsmaximen zu gestalten. Jeden Tag verdeutliche ich mir folgende Affirmationen:
- Stress ist das, was man sich selbst macht
- Lebe im Hier und Jetzt
- Was ist das Schlimmste, was passieren kann? Was ist die bestmögliche Entwicklung?
- Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere
Ich sehe diese Glaubenssätze als meine persönlichen Leitplanken an, die mir helfen durch die Unwegsamkeiten des Lebens zu manövrieren. In herausfordernden Zeit ist dies mein Toolset, um Ruhe zu bewahren und mit klarem Kopf Entscheidungen zu treffen. Auch wenn dies nicht immer gelingt, versuche ich mich hierbei nicht unter Druck zu setzen.
In meiner Schulzeit wurde ich von einer Mitschülerin als „naiver Positivist“ tituliert, da ich sagte, ich habe keine Angst vor meiner Zukunft. Auch heute vertrete ich diese Einstellung. Mein Toolset hat mir gezeigt, dass es für jede Frage des Lebens eine Antwort gibt.
Fußnoten:
- Thriving in a World of “Knowledge Half-Life”: https://www.cio.com/article/3387637/thriving-in-a-world-of-knowledge-half-life.html[↩]
- Beschleunigungsgesellschaft: https://www.prozukunft.org/buecher/beschleunigungsgesellschaft[↩]
- Werbung: Nie war die Botschaft so wertlos wie heute: https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/werbesprech-nie-war-die-botschaft-so-wertlos-wie-heute/23163046.html[↩]
- Bewusstseinsforschung: Pro Sekunde werden ca. 11 Millionen Sinneseindrücke in unserem Gehirn verarbeitet. Davon nehmen wir jedoch nur etwa 40 davon bewusst wahr.[↩]
- Informationsflut überfordert viele Deutsche: https://www.handelsblatt.com/technik/it-internet/bitkom-umfrage-informationsflut-ueberfordert-viele-deutsche/4009398.html?ticket=ST-1440584-wTpy1cM4NS9N2cwc13ky-ap1[↩]
- In einer komplexen Welt wird Entspannung immer wichtiger: https://coaches.xing.com/magazin/in-einer-komplexen-welt-wird-entspannung-immer-wichtiger[↩]
- Wie sich komplexe Gesellschaften entwickeln: https://www.oeaw.ac.at/detail/news/wie-sich-komplexe-gesellschaften-entwickeln/[↩]
- Selbstoptimierung: https://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/bioethik/311818/selbstoptimierung[↩]
- Männer meines Alters werden zwischen 85 und 88,4 Jahren alt. 50,90 % meiner Lebenszeit ist somit schon vergangen.[↩]
- Leeroy will’s wissen! „Wie ist das JÜRGEN KLOPP ZU SEIN?„[↩]
- Oder kölsch: „Et hätt noch emmer joot jejange.“ („Es ist bisher noch immer gut gegangen.“) [↩]